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EM-Euphorie in der SchweizMomente fürs Leben

Das Team der Schweiz wird im Land der Gastgeberinnen gefeiert, als hätten sie die EM gewonnen. Immerhin hat die Mannschaft nun Island geschlagen.

Freude pur: Nach dem Schlusspfiff gab es kein Halten mehr für das Schweizer Team Foto: Til Buergy/dpa

Bern taz | Wohin nur mit den ganzen Emotionen in der Schweiz? Die Begeisterung im Berner Wankdorfstadion über die einheimischen Fußballerinnen war so überwältigend am Sonntagabend, dass nach dem 2:0-Erfolg gegen Island in der Fragerunde mit Trainerin Pia Sundhage die Frage aufgeworfen wurde, ob es nicht eigentlich viel größere Stadien in der Schweiz bräuchte, damit 40.000 oder vielleicht gar 70.000 Menschen solche Spiele verfolgen könnten. „Das wäre natürlich cool“, antwortete Sundhage, die selbst stets ausnehmend cool wirkt. Sie fügte ihren Lieblingssatz an: „Es ist, wie es ist.“ Zudem riet sie: „Man muss das genießen und umarmen, was man hat.“

Genau das hatte die 65-jährige Schwedin nach Abpfiff getan. Still stand sie mit verschränkten Armen auf dem Rasen und beobachte, wie die Wellen der Begeisterung im mit 29.658 Zuschauern ausverkauften Stadion besonders da hoch schwappten, wo die Spielerinnen Hand in Hand aufs Publikum zurannten.

Sundhage sagte später: „Ich habe mit den Spielerinnen über unsere Reise geredet, über das Einmal-im-Leben-Erlebnis, blablabla, aber das hier ist was ganz Spezielles. Ich habe nicht geglaubt, dass Schweizer eine solche Atmosphäre schaffen können.“ Die Euphorie ist wirklich bemerkenswert. In der Berner Innenstadt wurde gar der Straßenbahnverkehr eingestellt wegen der Menschenmassen, die zum Public Viewing durch die Gassen strömten.

Berauschend war allerdings das, was insbesondere in der ersten Halbzeit beide Teams zeigten, keineswegs. Es war ein Kick and Rush der übelsten Sorte. Unzählige Male wurde der Ball weit und hoch hin und her geschlagen und wenn er doch mal bei der gewünschten Adressatin ankam, wurde diese meist durch ein Foul außer Gefecht gesetzt. Lia Wälti, die ansonsten im Team für Spielkultur zuständig ist, fasste es sehr freundlich zusammen: „Es war vielleicht nicht der schönste Fußball, es war sehr physisch.“ Die Schweizerinnen spielten lange Zeit isländischen Fußball, bevor sie sich im Verlauf des Spiels immer mehr auf ihre eigenen Stärken besannen.

Schweizer Dauerwelle

Das Publikum ließ sich aber schon von dem ruppigen Kampf von den Sitzen reißen. Eine La Ola folgte der nächsten im Stadionrund. Die beiden Treffer durch Géraldine Reuteler (76.) und Alayah Pilgrim (90.) trieben die Lautstärke noch einmal in neue Bereiche. „Die Stimmung nach den Toren war unglaublich“, sagte Wälti. „Das sind Momente, die fürs Leben bleiben.“

Pia Sundhage war vor allem darüber glücklich, wie flexibel und gut ihr Team die taktische Umstellung von 3-5-2 zu Beginn der zweiten Halbzeit auf 4-4-2 bewältigte. Das sei auch eine Frage des Vertrauens. „Wenn wir an etwas glauben, können wir auch erfolgreich sein. Das ist das, was wir heute umgesetzt haben.“ Nach langer Anlaufzeit hat Sundhage pünktlich mit Turnierbeginn offenbar eine vielversprechende Glaubensgemeinschaft geschaffen, die nun auch noch eine große Gefolgschaft hinter sich weiß.

Schon mit einem Remis gegen Finnland im letzten Gruppenspiel könnten die Schweizer Fußballerinnen erstmals in ihrer Geschichte in ein EM-Viertelfinale ziehen. „Das wäre nicht nur für uns fantastisch, sondern für das ganze Land“, sagt Sundhage.

Man muss genießen und umarmen, was man hat

Pia Sundhage, Trainerin

Begünstigend für eine nachhaltige Entwicklung sind die vielen Talente, die auch gegen Island auf sich aufmerksam machen konnten. Die 18-jährige offensivstarke Iman Beney hilft auf der Außenverteidigerposition aus und zeigte bei ihren Vorstößen echte Klasse. Die eingewechselte Leila Wandeler (19) bereitete den Treffer von der ebenfalls dazugekommenen Alayah Pilgrim (22) vor.

„Heute haben die Einwechsel­spielerinnen den Unterschied gemacht“, resümierte Wälti. Sie zeigte Mitleid mit ihrer Trainerin. Es sei nicht einfach für sie, angesichts der vielen Talente Entscheidungen zu treffen, wer auf dem Platz steht. „Es ist, wie es ist“, würde Sundhage vermutlich sagen.

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